Der Beginn einer Bewegung

Sebastian Kneipp und Bad Wörishofen ist uns allen ein Begriff, wir sehen ihn als gemütlichen beleibten Pfarrer vor uns, der unglaubliche Heilerfolge mit seinen Wasseranwendungen erreicht hatte. Außerdem haben wir sofort ein weiteres Bild vor Augen: Menschen mit nackten Beinen wie Störche durch das Wasser tretend. Aber was wissen wir noch?

Kneipp ist im Jahr 1821 im Schwäbischen in ein armes Elternhaus hineingeboren, sein Vater war einfacher Landweber. Als 12-jähriger musste er schon seinem Vater zur Hand gehen und täglich weben, um die Familie mitzuernähren. Für das Kind Sebastian eine Qual, denn er war schon früh von forschender Neugier und wissbegierig. Er hatte ganz andere Vorstellungen von seinem Leben: Geistlicher zu werden war sein sehnlichster Wunsch. Seine Eltern aber antworteten: „Wir haben kein Geld und wollt dich unser Herrgott zum Studenten, so hätt er auch das Geld gegeben.“ Da kannten sie ihren Sohn aber schlecht. Durch die Unterstützung seines Förderers, gepaart mit enormer Willenskraft und vielen Entbehrungen hat er es schließlich doch geschafft, das Gymnasium zu besuchen und zu studieren.

Die Jahre des Studierens setzten dem jungen Kneipp ganz schön zu, aus heutiger Sicht würde man sagen, er war im Stress und dies hatte Folgen: er wurde schwer krank. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er: „War ich früher an viel schwere körperliche Arbeit gewöhnt, hatte die beste, einfachste Landkost, Winter wie Sommer viel Bewegung und frische Luft, so fühle ich mich jetzt zunehmend schlaff und abgeschlagen. Mein Appetit schwand, ich konnte nicht mehr schlafen, fühlte mich müde und abgeschlagen. „Die Ärzte waren ratlos, sie gaben ihm keine Überlebenschancen, denn Kneipp litt an Tuberkulose, die damals als unheilbar galt. Zufällig bekam Kneipp in dieser Zeit ein für ihn entscheidendes Buch (Anleitung zur Wasserheilkunde von Hahn) in die Hand. Wie Kneipp in seinen Erinnerungen schreibt, war dies Büchlein „ein wahrer Morgenstern für eine bessere Zukunft“, denn dort war zu lesen: Wasser kann gesund machen und von allen möglichen Zipperlein befreien.

So ging der junge Kneipp also im Winter 3 mal die Woche in die Donau hinaus und hat Halbbäder genommen, von 3 – 4 Sekunden bei 10 bis 15 Grad Kälte. Müde ging er hinaus, neu aufgefrischt und gestärkt kam er jedes mal heim und gewann die Überzeugung: „Wenn es für mich – nachdem alles Angewendete nichts geholfen – ein Heilmittel gibt, so wird es das Wasser sein.“ Und er wurde geheilt.

Seine Genesung, sein unermüdlicher Forscherdrang, seine Beobachtungsgabe und damit das Erkennen krankmachender Verhältnisse schufen die Grundlage seiner Lehre.

Sebastian Kneipp war, wie wir heute sagen würden, ein „Allroundgenie“. So war es nicht erstaunlich, dass er schon als Student so manch einen von seinem Leiden kurierte und ihn deshalb immer mehr Menschen um seinen Rat fragten. „Als ich 1852, mit 32 Jahren endlich zum Priester geweiht wurde, wollte ich die Heilerei sein lassen, es war mir zu lästig und zeitraubend, ich fühlte mich hauptsächlich für den Priester und und nicht für den Medizinerstand bestimmt.“ Dieses Vorhaben gelang ihm nicht, da er als Seelsorger oft mit Kranken zu tun hatte, die er jammern hörte, und ihnen mußte er einfach helfen.

Kneipp lebte von 1821 bis 1897, dem Jahrhundert der Industrialisierung und des sozialen Umbruchs. Die Masse der Bevölkerung, die Arbeiterschaft war arm. Es gab aber auch das städtische, zunehmend verweichlichte Bürgertum: beiden gemeinsam war die Abkehr von natürlicher Lebensweise, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Gegen die daraus resultierenden Krankheiten setzte Kneipp Wasserbehandlung und Heilkräuter ein, außerdem propagierte er das einfache Leben der Landbevölkerung aus den vorangegangenen Jahrhunderten. Damit sprach er gegen den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts und war doch seiner Zeit voraus.

Verfolgt man seine Lebensgeschichte oder liest Zitate wie folgende, erkennt man, dass all seine Ratschläge aus dem Fundus seiner persönlichen Erfahrungen stammen. „Ich bin mit Kartoffeln und Brot gefüttert worden und war schon mit 18 ein Mordskerl“, „das Abhärten des Körpers beugt vielen Krankheiten vor, ich selbst lief ab dem Frühjahr bis in den November hinein barfuß“, oder „wer die Flaschenwärmerei einmal angefangen hat, hört nicht wieder auf, der Sommer wird für ihn immer kürzer, der Winter länger.“ Als Seelsorger wusste Kneipp aber auch, dass Wassergüssse und Heilkräuter alleine nicht ausreichen, um gesund zu werden, dazu braucht es auch einen ausgeglichenen Seelenzustand. Kneipp behandelte alle Schichten der Bevölkerung, seine besondere Fürsorge aber galt den Armen, denn sie konnten sich keinen Arzt leisten. „Wer selbst in Not und Elend saß, der weiß Not und Elend des Nächsten zu würdigen.“

Kamen die bürgerlichen Damen aus der Stadt zu ihm, die Leiber mit einem Korsett geschnürt, die Füße in kleine Schühchen gequetscht, so hatte er keine Scheu seiner Meinung auf recht drastische Weise Ausdruck zu geben: „Die Weibspersonen stecken im Korsett wie ein Narr in der Zwangsjacke. Sie werden natürlich infolgedessen krank, dann laufen sie von einem Arzt zum anderen, die aber nicht helfen können, dann kommen sie nach Wörrishofen, wo sie vor allem tüchtig ausgeschimpft werden.“ Aber auch ihnen half die Kneippsche Kur. Bei so viel Erfolg blieb es natürlich nicht aus, dass Pfarrer Kneipp von Ärzten als Quacksalber angefeindet und auch schon mal vor Gericht zitiert wurde – denn die Ärzteschaft fürchtete um ihre Pfründe.

Pfarrer Kneipp ließ sich jedoch nicht beirren. Wie gut, denn so wirkt seine Idee der ganzheitlich-orientierten gesunden Lebensweise und des Naturheilverfahrens bis in unsere Zeit hinein.